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Ewald Hanstein, am 5. Mai 2002, anlässlich der Verleihung des Franco-Paselli-Friedenspreises an ihn und der zweiten Aufführung des Gedenkkonzertes Cantate pour la vie zum Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus am 8. Mai 1945 im Ruinenteil der ehemaligen U-Bootbunkerwerft Valentin in Bremen-Rekum
Am 16. Dezember 1942 erließen die Nationalsozialisten unter Heinrich Himmler den sog. "Auschwitz-Erlass". Alle Sinti und Roma sollten verfolgt und vernichtet werden. Ewald Hanstein und seine Familie gehörten zu den Opfern.
Ewald Hanstein überlebte die Liquidierung und den Völkermord im sogenannten " Zigeuner-Familienlager" des Vernichtungslagers Auschwitz. Dort wurden seine Mutter Maria Hanstein und seine Schwestern Gertrud, Elisabeth, Lydia, Ramona und der Bruder Gregor, seine Großmutter und viele weitere Familienangehörige ermordet. Er überlebte auch die Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora.
Seinen Vater Peter Hanstein sah Ewald Hanstein nach dessen Abtransport im Juni 1938 nicht wieder. Zusammen mit seinen Onkeln Karl, Siegfried und Paul wurden er in das KZ Sachsenhausen gebracht. Erst nach dem Krieg erfuhr Ewald Hanstein von einem Mithäftling des Vaters, dass dieser als Häftling des KZ Neuengamme ab 1943 im KZ-Außenlager Farge beim Bau der U-Bootbunkerwerft `Valentin` eingesetzt wurde:
"Dort fand Peter ein Feuerzeug und steckte es ein. Er war schon sehr schwach und wurde mit anderen arbeitsunfähigen Männern ins KZ Neuengamme zurückgebracht. Sie hatten ihn gefilzt, und das Feuerzeug gefunden. Man band ihm die Hände auf den Rücken zusammen und hängte ihn an einen Haken. Das hat er nicht überlebt."
"Manchmal liege ich abends im Bett und sehe ihre Gesichter deutlich vor mir: das meiner Mutter Maria, meines Vaters Peter, der Schwestern Gertrud, Elisabeth, Lydia und Ramona, meines Bruders Georg, dass von Großmutter und all den anderen. Niemand von Ihnen hat überlebt, selbst die Fotos haben die Nazis mir genommen und doch erinnere ich mich genau an sie. Ich wundere mich, daß ich noch lebe. Warum gerade ich."
(Zitat aus: "Meine hundert Leben", Donat Verlag Bremen 2009, Seiten 9 und 36)
Nach der Befreiung 1945 durch die Amerikaner lebte Ewald Hanstein bis 1954 in der ehemaligen DDR. Von dort floh er in die Bundesrepublik. Seit 1954 wohnte er mit kurzen Unterbrechungen in Bremen, zuletzt lange Jahre in der Aumunder Feldstraße.
"Ich war Schlosser, Musiker, Autohändler, Handelsvertreter, Gastwirt und Ladenbesitzer, und ich bin Vater, Großvater und Ehemann."
(Zitat aus: "Meine hundert Leben", Donat Verlag Bremen 2009, S. 10)
Als Mitglied des Ausschusses des Bremer Landesamtes für Wiedergutmachung seit 1989 setzte Ewald Hanstein sich für angemessene Entschädigungen für alle Opfer und Überlebenden des Völkermordes und des nationalsozialistischen Terrors ein. Die bereits in den 50-er Jahren erfolgten Wiedergutmachungszahlungen an die Sinti und Roma, auch an seine Familie, waren unzureichend gewesen und entwürdigten viele Opfer, denn zuständig für Überprüfung der Ansprüche waren in den 50-er und 60-er Jahren oft die gleichen Behördenmitarbeiter, die während der Nazizeit mitbeteiligt waren an Erfassung, Verfolgung und Abtransport. Deshalb sprach Ewald Hanstein von einer zweiten Verfolgung.
Seit 1979 war Ewald Hanstein Mitglied im Landesvorstand, und Mitte der 80er Jahre wurde er zum Vorsitzenden des Landesverbandes deutschen Sinti und Roma in Bremen und des Bremer Sinti-Vereins gewählt.
Gemeinsam mit Romani Rose vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, Otto Rosenberg aus Berlin und Ricki Adler aus Frankfurt und Mitgliedern anderer Landesverbände baute er die Bürgerrechtsarbeit der Sinti und Roma in Deutschland auf. Er war Mitglied des europäischen Häftlings-Komitees der Gedenkstätte Mittelbau-Dora und Vertreter verschiedener Opferverbände.
1995 weihte Ewald Hanstein auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofs in Bremen eine Gedenktafel für die aus Bremen deportierten und in Auschwitz ermordeten Sinti und Roma ein.
In Zusammenarbeit mit dem Zentralrat, dem damaligen Bremer Bürgermeister Klaus Wedemeier und Vertretern des Bremer Senats gelang es Ewald Hanstein und dem Landesverband der deutschen Sinti und Roma in Bremen, den 16. Dezember zum Gedenktag an den Völkermord an den Sinti und Roma zu erklären. Seitdem findet an jeden 16. Dezember das Gedenken im Bundestag statt.
Ewald Hanstein hat bis zu seinem Tod in Vorträgen in Gedenkstätten, in Schulen, auf Tagungen und in der Öffentlichkeit über den Völkermord an der Minderheit informiert, und um eine angemessene staatliche Unterstützung für die Überlebenden gekämpft.
Ewald Hanstein setzte sich als ehemaliger Verfolgter und Zeitzeuge bis zu seinem Tode dafür ein, dass Ursachen und Folgen des deutschen Faschismus bekannt wurden. Er forderte, sich jederzeit rechtsextremen Strömungen wirkungsvoll entgegen zu stellen.
Für seinen Kampf gegen jede Form von Rassismus, für die Anerkennung der Sinti und Roma als deutsche Minderheit und für sein politisches Wirken erhielt Ewald Hanstein mehrfach öffentliche Anerkennung, u. a:
- 2002 wurde ihm im Bunker `Valentin, anlässlich des Gedenkkonzertes " Cantate pour la Vie" der "Franco-Paselli-Friedenspreis" der Internationalen Friedensschule Bremen überreicht.
- 2006 erhielt er im Bremer Rathaus das Bundesverdienstkreuz am Bande.
Am 27. Januar 1999 hielt Ewald Hanstein in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora anlässlich des Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslage Auschwitz eine Rede. Gerade in der jetzigen Zeit, wo rechtsextreme Positionen wieder erstarken, sollten wir Ewald Hansteins Mahnung verstehen:
- Wir müssen Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Fremdenfeindlichkeit bekämpfen, wo sie ihre ekelhafte Fratze zeigen.
- Wir müssen "nein" sagen, wo verächtlich über andere geredet wird!
- Wir müssen "nein" sagen, wo Gewalt propagiert oder verniedlicht wird!
- Wir müssen "nein" sagen, wo Egoismus und Konsum als höchste Lebensziele gepriesen werden!
- "Die Würde des Menschen ist unantastbar!" Dieses Gebot unseres Grundgesetzes, aus der Erfahrung von Auschwitz aufgeschrieben, bleibt die Richtschnur für unser gesellschaftliches Leben, für eine demokratische und humane Zukunft.
(Zitat aus: "Meine hundert Leben", Donat Verlag Bremen 2009, S.165
Straßenbenennung in Bremen-Aumund:
Ewald-Hanstein-Straße
Im Neubaugebiet der Aumunder Feldmark, zwischen Beck-Straße und Aumunder Wiesen, ist nun eine Straße nach Ewald Hanstein benannt worden.
Ewald Hanstein lebte von 1954 bis 1966 in Bremen und ab 1976 bis zu seinem Tod 2009 in Vegesack.
Am 6. Oktober 2022 fand ihm zu Ehren im Ludwig-Baumann-Saal des Gustav-Heinemann-Bürgerhaus in Vegesack eine Veranstaltung mit Podiumsdiskussion und musikalischer Unterhaltung statt:
Bei mir bist du schön
Ein Abend für den Bürgerrechtler und Auschwitz-
Überlebenden Ewald Hanstein (1924–2009)
Gespräche mit Weggefährten:innen, Musik der Sinti und Roma, Einweihung der Ewald-Hanstein-Straße, Filmpremiere
VERANSTALTER: Internationale Friedensschule Bremen im Bürgerhaus Vegesack;
Arbeitskreis ›Erinnern an den März 1943‹
Programmflyer gibt es hier zum Download!
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